Wir ziehen Bilanz: Seit fast einem Jahr diskutieren Fans und Gesellschaft über notwendige Reformen im Fußball. Selbstkritik und Demut der Funktionäre entpuppt sich als Mittel zum Zweck. Der DFL-Taskforce Abschlussbericht verkommt zum Hochglanzprodukt. Bisherige Umsetzung irgendeiner Reform? Weiterhin Fehlanzeige.
Viele Fußballfans in Deutschland haben die Worte der Selbstkritik noch im Ohr. Christian Seifert war es, der eindringlich wie ernüchtert fragte, was der Fußball falsch gemacht habe. Und es waren die Granden der Branche, die ihm zu antworten wussten: „Bis dato war es ein Rattenrennen, das um die besten Spieler der Welt stattfindet“ attestierte etwa Karl-Heinz Rummenigge, sprach von „Exzessen“, die „normalisiert“ werden müssten und im Anblick stets steigender Summen von „ungesunden Entwicklungen“. Auch Hans-Joachim Watzke wusste genau: „Wenn wir die Krise überstanden haben sollten, muss sich im Fußball einiges ändern.“ Und Ralf Rangnick forderte ein Ende der dreistelligen Millionentransfers und mehr Augenmaß, mehr Bezug zur Wirtschafts- und Arbeitswelt außerhalb des Fußballs.
Und heute? Wo sind sie hin, diese viel zitierte Demut, Selbstkritik und der Wille zu Veränderung? Für kurze Zeit schien es so, als hätte der Fußball verstanden, was die Stunde geschlagen hat. Als hätte sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Bundesliga ohne tiefgreifende Reformen nicht zukunftsfähig ist. Dass sich die Funktionäre dem gesellschaftlichen Druck beugen müssen. Der Druck scheint aber immer noch nicht hoch genug zu sein.
Denn bis heute stellt der Fußball öffentlich unter Beweis, dass die vorgebrachte Demut und Selbstkritik nur Mittel zum Zweck war – ein Vorwand, um während und nach der Pandemie genauso weiter machen zu können wie bisher. Es ist nicht so, dass wir aus voller Naivität von etwas anderem ausgegangen sind. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, dass man jede Chance für Veränderungen nutzen muss.
Heute müssen wir konstatieren: Seit der Ball im Mai 2020 wieder rollt, ist das einzig Neue im Fußball, dass Geisterspiele zur neuen Normalität gehören. Obwohl: Neu ist auch die ungefilterte Selbstgefälligkeit einiger Akteure. Während früher noch darauf geachtet wurde, wenigstens den Schein einer gesellschaftlichen Bodenhaftung zu wahren, fordern einzelne Fußball-Funktionäre mittlerweile unwidersprochen gesellschaftliche und rechtliche Privilegien ein: Vorgezogene Impfreihenfolge, argumentiert mit einer Vorbildrolle. Die selbstverständliche Forderung Nachtflugverbote umgehen zu dürfen. Die Verlegung europäischer Spiele, die jegliche Pandemie-Maßnahmen öffentlich konterkartiert, statt sich für eine Verschiebung einzusetzen oder schlicht nicht teilzunehmen.
Was also soll die Hoffnung nähren, dass sich irgendetwas ändert? Ein Fünkchen Hoffnung sind die Vereine selbst und der Protest der Kurven, der zu erwarten ist, wenn die Stadien wieder voll sind. Denn ändert sich nichts, wäre die Botschaft von DFL und Vereinen die folgende: Konstruktive Wege, Konzeptpapiere und die Teilnahme an Diskussionsprozessen führen nicht zu Veränderungen und lohnen sich nicht. Das wäre ein fatales Zeichen für die Zukunft.
Bei unserer Zeitreise reicht ein Blick zurück
Auch wir schauen in die Zukunft. Frei nach dem Vorbild der DFL bei der Pressekonferenz zum Abschlussbericht der Taskforce: Sie hat uns alle auf eine Zeitreise mitgenommen, uns eingeladen, zusammen zu erträumen, wie im Jahr 2030 Milch und Honig fließen werden. Doch was ist im Jahr 2021 oder 2022, dann, wenn die Stadien wieder voll sein können? Was, wenn die drängendsten Fragen der Krise – allen voran die nach den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Fußballs – weiterhin ignoriert werden, lediglich neue Arbeitsgruppen gebildet werden und keine Weichen für substanzielle Reformen gestellt werden?
Allen wurde im letzten Jahr vor Augen geführt, wie wichtig Fans für den Fußball sind. Es ist das Zusammenspiel von Publikum und Sport, das den Fußball so einzigartig macht. Die Vereine, die durch ihre Mitglieder getragen werden.
Die DFL und ihre Vereine sind auf dem besten Weg, die besonderen Alleinstellungsmerkmale des deutschen Fußballs zu verspielen: Mitgliedergeführte Vereine, volle Stadien, großartige Stimmung, hundert Prozent Leidenschaft und Hingabe für den Verein. Die Spiele der deutschen Nationalmannschaft bieten einen Vorgeschmack darauf, wie die Bundesliga langfristig aussehen kann: Keine Stimmung, keine Bindung, keine Leidenschaft auf den Rängen.
Wir möchten daran erinnern, wie aufgeladen die Stimmung vor der Pandemie war. Dem Fußball wurde am letzten Spieltag mit vollen Stadien auf unzähligen Spruchbändern dargelegt, was er falsch gemacht hat. Ist das alles schon vergessen? Wir empfehlen einen Blick zurück. Wenn sich nichts ändert, wird die Vergangenheit Zukunft sein. Dafür brauchen wir keine Glaskugel.
Jeder einzelne Verein ist in der Pflicht
Noch gibt es die Chance, bedeutende Veränderungen einzuleiten. Sie liegt einzig und allein bei den Vereinen. Denn die DFL ist immer noch die Summe ihrer Mitglieder. Für die Umsetzung jeder einzelnen Maßnahme zur Zukunftsfähigkeit des Fußballs braucht es lediglich 24 von 36 Bundesligavereinen. Wir fordern die DFL-Vereine auf, die stetig wachsende emotionale Entfremdung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Erkennt endlich an, dass die wirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen justiert und demokratische Strukturen im Fußball gestärkt werden müssen. Jede wichtige Reform in puncto Fandialog, Nachhaltigkeit, Diversität und gesellschaftlicher Verantwortung ist nur dann etwas wert, wenn Ihr gleichermaßen die wirtschaftlichen Themen im Fußball angeht. Wir haben die wesentlichen Aspekte in unserer Bewertung des Abschlussberichtes der DFL-Taskforce nochmals zusammengefasst. Das Kurzfazit: Es kann nicht sein, dass das Ergebnis monatelanger guter Diskussionen lauten soll, dass der Fußball vielleicht doch Leitplanken brauchen könnte.
Und um eines nochmals klarzustellen: Wir träumen nicht von einem besseren Fußball, wir erwarten ihn! Wir erwarten substanzielle Reformen. Wenn wir Fans träumen, dann von umkämpften Spielen, leidenschaftlichen Siegen und vollen Stadien.
Am Ende der Pandemie werden wir alle Funktionäre, die Vereine und die Verbände an ihren Worten messen. Denn sie sind der Beleg, dass im Grunde alle wissen, was der Fußball falsch gemacht hat und immer noch falsch macht. Die Frage bleibt, ob jemand, der die Macht dazu hat, bereit ist, diese Entwicklungen zu stoppen.