Die Corona-Krise schränkt unsere Gesellschaft und somit auch den Profifußball aktuell sehr stark ein. Seit über einem Monat finden bundesweit keine Fußballspiele mehr statt. Die Einen wollen so schnell wie möglich wieder spielen, die Anderen erst, wenn wieder Publikum zugelassen ist. Das Meinungsbild zur Fortsetzung der Saison 2019/20 könnte nicht unterschiedlicher und kontroverser sein. Die Bedingungen zur Fortsetzung der Saison 2019/20 innerhalb und zwischen den Ligen auch nicht.
Wir haben uns gefragt, um was es eigentlich geht. Geht es wirklich um die verbleibenden Spieltage und die Fortsetzung der Saison? Für uns geht es um viel mehr. Denn der Profifußball als gesamtes System steht so deutlich wie noch nie auf dem Prüfstand. Wir möchten nicht mehr über Symptome diskutieren, sondern endlich über die Krankheit und die Wege zur Gesundung des Fußballs sprechen.
Vereine und Verbände sind herausgefordert jetzt verbindliche Schritte zur Gesundung des Profifußballs einzuleiten und zu gehen. Anders ist eine Akzeptanz für Maßnahmen zur Beendigung der laufenden Saison aus unserer Sicht nicht zu erreichen. Dies setzt voraus, dass der Profifußball anerkennt, dass er nicht erst seit der Corona-Krise krank ist.
Welche Krankheit hat der Fußball?
Der Profifußball leidet bereits seit langer Zeit an chronischen Beschwerden. Das Krankheitsbild ist vielschichtig:
Auf internationaler Ebene ist er zu einem Spekulationsobjekt für Milliardäre verkommen. Als Negativbeispiele stechen die Vergaben der Weltmeisterschaften ebenso wie etwa der komplette Verkauf sogenannter Fußballvereine hervor. Korruption und Vetternwirtschaft sind die Folgen dieser ungezügelten Kommerzialisierung. Kritik an Menschenrechtsverletzungen müssen wiederkehrend hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen.
Im deutschen Ligafußball sind nicht wenige Vereine bereits durch finanziellen Hochmut und Misswirtschaft in eine kritische Schieflage geraten. Einige Vereine haben sich selbst kaputt gewirtschaftet. Verbände, Vereine und Funktionäre messen das eigene Handeln nur dann an moralischen Maßstäben, wenn es dem eigenen Vorteil dient.
Gemeinsam mit so manchen Medien wird seit Jahren argumentiert, dass der Ausverkauf des Fußballs der Wettbewerbsfähigkeit dienen würde. Dabei hat sich der Fußball mindestens so weit von einem fairen Wettbewerb entfernt, wie von seinen eigenen Fans.
Bei allen Maßnahmen wurde billigend in Kauf genommen, dass der nationale Wettbewerb stetig ungleicher wird. Die DFL verkündet jährlich voller Stolz steigende Gewinne. Und jetzt droht der Profifußball zu sterben, weil unsicher ist, ob die restlichen neun Spieltage einer Saison zu Ende gespielt werden können.
Warum ist das so? Weil viele Vereine in die laufende Saison investieren statt in Rücklagen. Weil Vereine die laufende Saison mit noch nicht erwirtschafteten Mitteln aus der kommenden Saison finanzieren oder entsprechende Rechte veräußern. Weil manche Vereine durch den wachsenden Druck in den Ligen mitzuhalten ihre Finanzen äußerst knapp kalkuliert haben, verbunden mit der risikoreichen Hoffnung auf sportlich bessere Zeiten.
Die jetzt drohenden Konsequenzen für viele Vereine bestätigen, dass ein solches Wirtschaften keine Strategie mehr für die Zukunft sein darf.
Der Krankheitsverlauf
Die Krankheit des Fußballs hat ihre Wurzeln darin, dass sich durch Profifußball sehr viel Geld verdienen lässt. Im Normalfall sollte das Geld im Fußball dazu dienen, den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Doch längst steht nicht mehr der Sport im Mittelpunkt, sondern die Maximierung von Einnahmen. Und zwar nicht, um das Eigenkapital der Vereine zu erhöhen. Vielmehr fließen jedes Jahr mehrere Millionen Euro an Spieler, Berater, Trainer, Funktionäre und Investoren. Ungleichmäßige Verteilungen, die daraus entwickelten Abhängigkeiten und wirtschaftliche Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Spielklassen sind Kern des Problems. Die finanziellen Rahmenbedingungen zwischen Bundesliga und 2. Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga sowie den unteren Ligen sind enorm. Sie fördern keinen fairen Wettbewerb, sondern befeuern den ständigen Drang der Vereine nach Mehreinnahmen, um vermeintlich konkurrenzfähig zu bleiben.
Absurderweise basiert die Kommerzialisierung des Fußballs darauf, dass ihm ein besonderer gesellschaftlicher Wert zugeschrieben wird. Er verbindet und kann Grenzen überwinden, er ist die schönste Nebensache der Welt. Diese Werte, die der Fußball tatsächlich hat, wurden als Instrument für Kommerzialisierung missbraucht. Das Motto hieß: Höher, schneller, weiter. Die Corona-Krise sorgt nun für eine harte Bodenlandung. Das „Geschäftsmodell Fußball“ ist nicht mehr an Werten orientiert, sondern zur kapitalistischen Ware verkommen. In Deutschland immerhin noch begrenzt durch die (bereits aufgeweichte) 50+1-Regel, die den Fußball wiederkehrend daran erinnert, wo er herkommt und wo er hingehört: In die Vereine, verbunden mit seinen Mitgliedern und Fans. An die Basis.
Fans im Stadion müssen der Kern des Fußballs sein
Der Profifußball finanziert sich durch verschiedene Quellen. Die drei wichtigsten Einnahmequellen sind der Verkauf der Medien-Vermarktungsrechte, der Abschluss von Sponsorenverträgen und die Einnahmen durch Tickets. Das Sponsoring ist dabei eng mit den TV-Übertragungen verknüpft. In der Bundesliga und 2. Bundesliga nehmen die Einnahmen durch Tickets prozentual den kleinsten Anteil ein. In der 3. Liga oder unteren Spielklassen verkehrt sich das Verhältnis der Einnahmen ins Gegenteil.
Die Abhängigkeit des Profifußballs von Fernsehgeldern wurde nie sichtbarer als in der aktuellen Situation. Es ist absurd, dass Bundesligavereine ihre Liquidität nur dann sichern können, wenn sie auf das verzichten, was den Fußball ausmacht: Fußballspiele in gefüllten Stadien. Fußballspiele vor und für seine Fans. Fußball als gemeinsames, gesellschaftliches und emotionales Ereignis. Ohne Fußballspiele im Stadion mit seinen Fans hat der Profifußball keinen gesellschaftlichen Wert. Ohne Fußballspiele im Stadion mit seinen Fans gäbe es keinen Fußball mehr, der so viele Menschen fasziniert. Und sind wir ehrlich: Ohne Fußballspiele mit seinen Fans und seiner stimmungsvollen Atmosphäre würde langfristig auch die Attraktivität für TV und Sponsoren sinken.
Das Standard-Argument: Wenn Du nicht mitspielst, bist Du raus
Statt dieser einseitigen Abhängigkeit von der Medienvermarktung wenigstens ab der 3. Liga abwärts etwas entgegenzusetzen, versuchen diese Vereine der Bundesliga nachzueifern und Erlöse aus der Medienvermarktung zu steigern. Statt gemeinsam krisensichere und nachhaltige Möglichkeiten der Sicherung ihrer finanziellen Existenz zu entwickeln, wird das vermeintlich schnelle Geld bevorzugt. Das Argument ist national dasselbe wie international: Wenn wir weiterhin Teil des Wettbewerbs bleiben wollen, müssen wir das Spiel mitspielen. Dieselbe Argumentation wird für die Öffnung für Investoren, für die Einschränkung von Fankultur und für alle unliebsamen Maßnahmen angeführt. Wohin dieses Spiel geführt hat, sehen wir alle in besonderer Deutlichkeit in der aktuellen Situation.
Wir sagen: Wenn das Spiel so weitergeht, sind wir raus!
Der Profifußball hat noch nie so stark um die Akzeptanz seines Geschäftsmodells in der Gesellschaft gerungen wie in der aktuellen Situation. Die Gesellschaft ist herausgefordert einen Umgang mit einer nationalen und internationalen Krisensituation zu finden. Wenn der Fußball ein Teil der Gesellschaft sein will, kann er nicht losgelöst von der gesamtgesellschaftlichen Situation handeln. Er muss diese stetig in seinem Handeln und seinen Gedankenspielen berücksichtigen. Wirtschaftliche Interessen müssen sich den aktuellen Rahmenbedingungen anpassen, nicht umgekehrt.
Die Verbände und Vereine müssen glaubhaft machen, dass sie sich von der exponierten Rolle der Vergangenheit verabschieden. Es ist der richtige Zeitpunkt, um zu den Wurzeln des Fußballs zurückzukehren. Der Fußball braucht einen ligaübergreifenden fairen Wettbewerb. Der Profifußball muss sich wirtschaftlich nachhaltig aufstellen.
Es ist nachvollziehbar, dass dieser Schritt nicht von heute auf morgen möglich ist. Die Vereine und Verbände sind aufgefordert, tragfähige Konzepte für einen nachhaltigen Fußball zu erstellen. Diese müssen sowohl Fußballfans als auch der Gesellschaft gegenüber glaubhaft darlegen, dass der Fußball sich ändern wird. Nur dann könnt Ihr auf unsere Unterstützung in der Krise und in der Zukunft bauen.
Wir leisten Erste Hilfe, wenn der Profifußball bereit ist gesund zu werden
Wir verstehen die laufenden Debatten um die sportliche Fortsetzung der Saison als Erste-Hilfe-Maßnahme. Eine solche Maßnahme ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Patient*innen – also alle Beteiligten – Einsicht in die Erkrankung des Systems Fußball haben, die Probleme als solche anerkennen und bereit sind, Veränderungen herbei zu führen. Bisher gab es im Verlauf der Krise nur wenige Stimmen aus Vereinen, die unsere Ansicht des kranken Fußballs teilen, gleichwohl aber viele von der Fanbasis. Vereine und Verbände müssen bereit sein, den mühevollen Weg der Veränderung in Angriff zu nehmen. Leere Versprechungen und lose Absichtserklärungen reichen nicht. Veränderungen müssen jetzt beginnen.
Der Weg zur Gesundung des Fußballs
Erste Schritte zur Gesundung des Profifußballs können bereits jetzt eingeleitet werden. Denn diese Schritte werden im Fußball nicht zum ersten Mal diskutiert, sind aber gleichwohl wesentlich. Ein erster Schritt ist eine Vereinbarung über eine gerechtere Verteilung von Fernsehgeldern innerhalb der Spielklassen und übergreifend im gesamten Ligen-System. Ein weiterer besteht darin, die Statuten der Verbände und die Lizenzierungsauflagen so zu ändern, dass die Vereine zur Bildung von Rücklagen verpflichtet werden, sobald die Krise überwunden ist. Perspektivisch müssen Abhängigkeiten von einzelnen Einnahmequellen reduziert werden, der Profifußball muss als Ganzes gedacht werden und nicht (nur) in seinen organisatorischen Einheiten. Hierfür müssen kreative Ansätze unter Berücksichtigung bestehender Expertise entwickelt werden. Der „neue Fußball“ braucht Visionäre und Visionärinnen, die die Herausforderung annehmen eine Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen und gesellschaftlicher Verantwortung herzustellen. Dann können die Vereine in Deutschland zum Vorbild eines nachhaltigen Geschäftsmodells im Fußball werden, das sich auch für den europäischen Fußball lohnt.
Der Ball liegt jetzt bei den Vereinen: Wollt Ihr einen „neuen Fußball“?
Es liegt an Euch, liebe Fußballvereine, ob die Krise zu einer Chance wird oder nicht. Ihr habt eine starke Stimme in Euren Verbänden, Ihr könnt diese für eine Veränderung des Profifußballs nutzen. Es liegt an Euch, ob Ihr die Fans hinter Euch versammelt oder sie zu Euren Gegenspielern werden.
Wir bieten uns wie gewohnt als kritisch-konstruktive Begleitung an. Wir sind bereit, Kompromisse zur Fortsetzung der Saison auszuhandeln, wenn wir nicht nur die Saison 2019/20 nach neun Spieltagen abschließen, sondern auch das jetzige Modell Fußball. Wir wollen mit Euch einen „neuen Fußball“ auf den Weg bringen.
Der „neue Fußball“ hält sein Wort und windet sich nicht mit fadenscheinigen Argumenten heraus. Er will seine Glaubwürdigkeit zurück und ist bereit, sehr viel dafür zu investieren. Der „neue Fußball“ akzeptiert keine Spiele ohne Fans, weil sie als wichtiger Teil des Fußballs anerkannt sind. Deshalb verschiebt der „neue Fußball“ die Eröffnung der kommenden Saison in den September und erarbeitet Konzepte, wie er dann wieder mit Publikum spielen kann.
Denn der „neue Fußball“ weiß, dass er nur mit seinen Fans vollständig ist.
Foto: Arne Amberg