Sitzungssaal im Landtag von Baden-Württemberg

Position zu Verbandstrafen aufgrund von Zuschauer*innen-Verhalten

Mit Spannung erwarten wir das BGH-Urteil zum Rechtsstreit zwischen dem FC Carl Zeiss Jena und dem DFB, da dieses zu weitreichenden Reformen der DFB-Sportgerichtsbarkeit führen kann. Ein Urteil gegen den DFB und damit gegen eine verschuldensunabhängige Haftung der Vereine hätte für organisierte Fans zwei positive Effekte: Erstens wäre damit die Strafenlogik des DFB grundsätzlich von höchstrichterlicher Stelle in Frage gestellt. Denn ein Verbot von verschuldensunabhängigen Sanktionen würde auch Kollektivstrafen eine generelle Abfuhr erteilen. Zweitens müssten Fans in deutlich weniger Fällen eine zivilrechtliche Inregressnahme fürchten. Denn das DFB-Sportgericht dürfte dann zukünftig keine Vereine mehr bei unerlaubtem Zuschauer*innen-Verhalten verurteilen, wenn die Vereine vorab alles dafür getan haben, dieses Verhalten zu unterbinden. Und keine Strafe an die Vereine bedeutet kein Schaden in Form von Strafzahlungen für einen Regressanspruch.

Die Kritik an der Sportgerichtsbarkeit in Verbindung mit Zuschauer*innen-Verhalten ist nicht neu. Wir haben unsere fünf wesentlichen Kritikpunkte im Folgenden nochmals zusammengefasst: 

  1. Unerlaubtes Zuschauer*innen-Verhalten nach den DFB-Statuten geht zum Teil weit über strafrechtlich relevantes Verhalten hinaus. Der DFB etabliert somit trotz dessen, dass es kein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen DFB und Zuschauer*innen gibt, über die Hintertür der Regressnahme durch die Vereine Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Zuschauer*innen.
  2. Die Möglichkeiten für Vereine, eine DFB-Strafe bei Identifikation der verantwortlichen Zuschauer*innen nachträglich verringern zu können, fördert zivilrechtliche Prozesse gegen die verantwortlichen Zuschauer*innen. Diese müssen dann ggfs. Schadensersatz in finanziellen Dimensionen leisten, die nicht an den finanziellen Mitteln von Privatpersonen, sondern von Fußballvereinen in Verbindung mit ihrer Ligazugehörigkeit entstanden sind.
  3. Sollte es sich bei dem Verhalten der Zuschauer*innen darüber hinaus um strafrechtlich relevantes Verhalten handeln, haben diese mit einer weiteren Strafe in Folge eines ordentlichen Strafverfahrens zu rechnen.
  4. Darüber hinaus hat der DFB im Februar 2020 verkündet, erneut vom Mittel der Kollektivstrafen als Sanktionsform Gebrauch zu machen, d. h. dass es zukünftig wieder zu (Teil-)Ausschlüssen von Zuschauer*innen kommen kann. Wir lehnen jegliche Ausgestaltungen von Kollektivstrafen kategorisch ab, da sie das Prinzip, dass stets ein individuelles Vergehen nachzuweisen ist, übergehen, Unbeteiligte bestrafen, Gefühle von Willkür schüren und Fronten verhärten. Deshalb fordern wir eine zeitgemäße Überarbeitung der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB.
  5. Letztlich gilt es im speziellen Fall von Kollektivstrafen bei Pyrotechnik anzuerkennen, dass damit einhergehende Probleme nicht mit pauschalen Strafen gelöst werden. Vielmehr müssen endlich konsequent Wege der Entkriminalisierung von Pyrotechnik eingeschlagen werden. Ein legaler Rahmen fördert ein kontrolliertes Abbrennen von Pyrotechnik und ermöglicht eine klare Distanzierung von gefährdenden Verwendungen von Pyrotechnik.

Zur besseren Verständlichkeit stellen wir im Folgenden noch weiterführende Informationen zu den Funktionslogiken des DFB-Sportgerichts in Verbindung mit Zuschauer*innen-Verhalten sowie einen juristischen Hintergrund zum aktuellen Rechtsstreit dar. 

Sportgerichtsbarkeit in Zusammenhang mit Zuschauer*innen-Verhalten

Der DFB stellt als Fußballverband im Rahmen der Verbandsautonomie eigene Regeln auf, an die sich seine Mitgliedsvereine, Sportler*innen, Angestellte und Repräsentant*innen halten müssen. Durch die Mitgliedschaft im DFB erkennen Vereine die Sportgerichtsbarkeit an und unterwerfen sich der Strafgewalt des DFB-Sportgerichts. Ein Bereich der Sportgerichtsbarkeit ist dabei für unerlaubtes Zuschauer*innen-Verhalten zuständig. Aktuell betrifft dies zum Beispiel das Einbringen und Abbrennen von Pyrotechnik, sofern keine Sondergenehmigung erteilt worden ist. Allerdings existiert kein Rechtsverhältnis zwischen Zuschauer*innen und dem DFB, sondern nur zwischen den Vereinen und dem DFB. Deshalb untersucht der DFB in solchen Fällen, in denen ein unerlaubtes Zuschauer*innen-Verhalten vorliegt, ob der zuständige Verein alles in seiner Macht stehende getan hat, um erstens durch Vorab-Maßnahmen das unerlaubte Zuschauer*innen-Verhalten zu unterbinden und zweitens alles dafür getan hat, um die Identifikation der einzelnen verantwortlichen Zuschauer*innen zu ermöglichen, was zu einer späteren Reduktion der auferlegten Strafe führen kann. Vereine können aber auch dann zu einer Strafe verurteilt werden, wenn sie alles in ihrer Macht stehende getan haben, um das unerlaubte Zuschauer*innen-Verhalten zu vermeiden. Das heißt: Der DFB kann aktuell Strafen verhängen, die unabhängig von einer nachgewiesenen Schuld sind. Gegen diesen Umstand hat der Verein Carl Zeiss Jena geklagt.

Juristischer Hintergrund des aktuellen Rechtsstreit FC Carl Zeiss Jena vs. DFB

Vereinfacht ausgedrückt, stützt der FC Carl Zeiss Jena die Klage auf den Grundsatz “keine Strafe ohne Schuld”, der im Grundgesetz verankert ist. Der DFB hält dagegen, dass verschuldensunabhängige Strafen der Rechtsordnung nicht fremd sind. Er verweist auf die Verbandsautonomie, welche ebenfalls eine wichtige Stellung im Grundgesetz innehat. In der Tat ist verschuldensunabhängige Haftung ein bekanntes Rechtsinstitut, zum Beispiel bei der Tierhalterhaftung oder im Straßenverkehrsrecht. Allerdings muss beachtet werden, dass es dort jeweils um eine Haftung für einen real aufgetretenen Schaden geht. Sanktionen über reale Schäden hinaus sollte es nur bei erwiesener Schuld geben. Das gebietet das Grundgesetz im Rahmen der sogenannten mittelbaren Drittwirkung auch für das Verhältnis zwischen Privaten.

Insofern ist zu hoffen, dass der BGH diese Schwäche in der DFB-Argumentation erkennt und entsprechend im Sinne des FC Carl Zeiss Jena entscheidet. Ein solches Urteil würde bedeuten, dass die Straf-Praxis als Verstoß gegen die Grundsätze unserer Verfassung unzulässig wäre, worin eine krachende Niederlage für den DFB läge. Selbst wenn aber der BGH zu dem Urteil kommt, dass sich der DFB gerade mit Blick auf die wichtige Verbandsautonomie noch im zulässigen Rahmen bewegt, ist zu beachten, dass dies lediglich das rechtliche Dürfen betrifft.

Abseits der rechtlichen Dimension halten wir die Straflogik des DFB, wie oben dargelegt, vor allem politisch für falsch und in der Sache für kontraproduktiv.