Transparent zu Anstoßzeiten im Profifußball

Bericht vom Treffen mit der DFL-Spielplan-Kommission

Am Mittwoch, 19.9.2018 trafen wir – zwei Fanvertreter des SV Darmstadt 98 stellvertretend für die Interessensgemeinschaft „Unsere Kurve“ – uns mit Vertretern der DFL-Abteilung für Fanangelegenheiten und der DFL-Spielplan-Kommission. Vorausgegangen war die Veröffentlichung eines Essays unserer FuFa Darmstadt zu den zeitlichen Ansetzungen der 2. Bundesliga im Herbst 2017 (https://www.fufa-sv98.de/essay-anstosszeiten/). Treffen von anderen Fanvertreter_innen mit der Spielplan-Kommission hatte es vor längerer Zeit immer mal wieder gegeben, der Darmstädter Vorstoß führte nun aufgrund seiner detaillierten Aufbereitung der Thematik zur Wiederaufnahme dieses Austauschs, den alle Seiten im Nachgang als sehr konstruktiv betrachteten. Die Informationen, die wir erhalten haben, referieren wir in blau geschrieben zunächst unkommentiert, unsere direkten Kommentare erscheinen dann kursiv.

Rahmenspielplan: Vorfahrt für die 1. Liga

In dem ca. zweistündigen Gespräch erklärte uns die Spielplan-Kommission zunächst die Entstehung des noch nicht mit genauen zeitlichen Ansetzungen versehenen Rahmenspielplans und den Zwängen, denen sie aus ihrer Sicht unterliegen:

Wie bekannt, hänge dieser vor allem von terminlichen Wünschen der Vereine bzw. Städte (z.B.: in Zeiträumen mit Großveranstaltungen lieber keine Heimspiele) und absehbaren polizeilichen Notwendigkeiten – etwa aufgrund von Vorkommnissen in der Vergangenheit oder durch die anderweitige Bindung von Kräften wie aktuell im Hambacher Forst – ab.

Eine große Rolle spiele außerdem bereits hier die Vorplanung der 1. Bundesliga hinsichtlich der möglichen Europapokal-Spiele: So ist es kein Wunder, dass die drei Partien der Euro-League-Teilnehmer untereinander (Leverkusen, Leipzig, Frankfurt) jeweils direkt an Wochenenden nach einer Europapokal-Woche stattfinden (4. BuLi-Spieltag: SGE-RBL, 11.: RBL-B04, 15.: B04-SGE).

Die Gestaltung des Spielplans der 1. Bundesliga habe außerdem aufgrund des immens höheren Zuschauerinteresses Vorrang vor dem der 2. Bundesliga. Erst dann schließe sich die Planung der 3. Liga durch den DFB an, wobei durchaus bei besonders brisanten Konstellationen nochmals zwischen DFB und DFL Rücksprache gehalten werde. Alle Wünsche würden in ein Computerprogramm eingepflegt, allerdings sei es notwendig, immer wieder Kompromisse zu finden, wenn sich Wünsche gegenseitig ausschlössen.

Die konkrete Ansetzung

Bei den weiteren konkreten Ansetzungen gingen die meisten Vorgaben von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) aus. Auch die Berücksichtigung von Interessen der TV-Partner fließen in die Spieltagsansetzung ein. Unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen – etwa hinsichtlich der Feiertagsgesetzgebung – in den einzelnen Bundesländern und regionale polizeiliche Besonderheiten flössen hierbei ebenfalls ein. Gerade bei brisanten Derbys sei die Einschätzung der örtlichen Polizei maßgeblich: Während etwa die Partie von Eintracht Frankfurt gegen Darmstadt am Abend des Nikolaus-Sonntags 2016 stattfinden konnte, weil die Polizei hierzu eine positive Einschätzung abgab, sollen etwa das Franken- oder das Revierderby definitiv nicht bei Dunkelheit stattfinden – selbst wenn der Übertragungswunsch der TV-Anstalten sehr groß ist – oder es müsse ein Kompromiss gefunden werden, der dann wieder Auswirkungen auf andere Spiele habe. Dadurch könne es dann geschehen, dass Spiele mit größeren Distanzen auf unbequemere Wochentags- oder Sonntags-Termine geschoben werden müssen.

Vereine und Städte könnten auch hier per Wunschäußerung Einfluss auf die konkreten Ansetzungen nehmen, aber deren Umsetzbarkeit werde mit den anderen zu berücksichtigenden Faktoren abgeglichen.

Unsere Folgerung: Hierüber bestünde durchaus ein weiterer Weg, Faninteressen zumindest innerhalb dieses Prozesses zu kommunizieren.

Distanzen spielen kaum eine Rolle – Freitags-Spiele sind von Heim-Vereinen gerne gesehen

Bei unserem Essay waren wir davon ausgegangen, dass die Distanzen, die Gästefans zurücklegen müssen, eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung des Spielplans spielen würden. Die Spielplan-Kommission erklärte uns aber, dass dieser Aspekt weniger berücksichtigt werde und vor allem in der 2. Bundesliga eher eine Gleichverteilung (auch wenn sie im Detail aufgrund anderer Einflüsse nicht erreicht wird) angestrebt werde. Die Mitglieder der Spielplan-Kommission hatten zwar prinzipiell Verständnis dafür, dass große Distanzen bei Wochentags-Spielen für Fans Härten darstellen und zum Teil mit zusätzlichen Urlaubstagen verbunden sind. Allerdings merkten sie an, dass Heimspiele an Wochentagen (vor allem am Freitag) von den Heim-Vereinen und -Fans durchaus als angenehm empfunden werden, da somit das Wochenende für andere Aktivitäten von Fans und Mitarbeitenden frei nutzbar sei. Sie wiesen außerdem klar von sich, dass Härtefälle für Auswärtsfahrer auch nur mit einem Anflug von Vorsatz entstünden.

Unserer Meinung nach sollte man auch nochmals innerhalb der Heimfans differenzieren: Gerade bei größeren Vereinen dürfte die Anzahl von Fans, die nicht aus dem direkten Umland der Stadt anreisen, recht hoch sein, für die ebenfalls u.U. Urlaubstage für den Spielbesuch geopfert werden müssen.

Auswärtsfahrer-Lobbyismus?

Weiter wurde uns erklärt: Die Menge der Auswärtsfahrer variiere unter den 36 DFL-Clubs sehr stark und läge auch bei vermeintlich angenehmen zeitlichen Ansetzungen oft deutlich unter den möglichen 10% der Stadionkapazität. Insofern sei zu fragen, ob der Spielplan tatsächlich eher aus Sicht der reisenden Gästefans oder doch eher aus Sicht der Heimfans zu denken und zu erstellen sei. Die jahrzehntelang erfolgte Verankerung in der Gesellschaft habe außerdem dazu geführt, dass der Großteil der Fans des Gastvereins (egal ob sie Heimspiele live im Stadion sehen oder nicht) die Spiele im Fernsehen oder anderweitig verfolge, was überhaupt erst die Stärke des TV-Einflusses ermöglicht habe. Daher würden Auswärtsfahrer nur eine relativ kleine, wenn auch sehr präsente und aktive Gruppe innerhalb des gesamten Zuschauerspektrums bilden. Insofern sei es auch nicht korrekt, die Distanz zu den Spielen als Hauptkriterium für die zeitlichen Ansetzungen heranzuziehen.

Wir halten es nicht für sinnvoll, das Argument der Anzahl der Zuschauer zu stark zu gewichten. Die Interessen und Belastungen, die sich aus einer Terminierung ergeben, sollten sowohl für Gäste- als auch für Heimfans geprüft und angemessen abgewogen werden.

Weitergabe von Verantwortung: „Niemand ist zu Gewalt verpflichtet“

Auch habe die starke Rolle der ZIS damit zu tun, dass Vorfälle durch „gewaltbereite Fans“ (auch wenn deren Anteil im Promillebereich liegt) auf Reisewegen oder im Umfeld der Stadien ein Eingreifen durch die Behörden nötig gemacht hätten. Selbst wenn es etliche Male keine Vorkommnisse gebe, stünden die Behörden in der Verantwortung und würden zur Rechenschaft gezogen, wenn aufgrund fehlender Vorkehrungen doch einmal etwas passieren sollte. Die Herstellung von Sicherheit im öffentlichen Raum sei eben die Aufgabe der Behörden und es sei schwer vorstellbar, dass eine Gruppe rivalisierender Fans komplett friedlich und ohne Belästigung Unbeteiligter zeitgleich gemeinsame Strecken zurücklege. Die Bahn als öffentlicher Dienstleister, aber auch Autobahn-Rastanlagen seien öfters Schauplatz von Konflikten.

Unsere Gedanken hierzu: Ist die Einschätzung der ZIS einmal getroffen, scheint es sehr schwer zu sein, diese in Frage zu stellen bzw. zu revidieren, weil es kein entsprechendes – zumindest uns Autoren bekanntes – institutionelles Gegengewicht zu ihr gibt. Es wäre zu diskutieren, z.B. eine analoge Sammelstelle aus Fansicht einzurichten, die mögliche problematische Konstellationen dieser Perspektive einordnet. Diese könnte sowohl professionelle Sichtweisen (z.B. Fanprojekte und Fanbeauftragte) als auch fanspezifische (z.B. Fanorganisationen) enthalten.

Zudem lassen sich sehr viele Beispiele zeigen, in denen rivalisierende Fangruppen durchaus zeitgleich in dieselbe Richtung fahren durften/mussten (wie etwa direkt am Wochenende nach dem Treffen bei der DFL mit den Spielen Sandhausen-Köln und Stuttgart-Düsseldorf (beide Fr, 21.9.) oder Würzburg-Braunschweig und Nürnberg-Hannover (beide Sa, 22.9.)), dadurch scheint die aktuelle Vorgehensweise – wenn nicht entsprechend auch in Einzelfällen transparent kommuniziert – inkonsequent zu sein.

Interessant finden wir außerdem im Zusammenhang mit dem Sicherheitsaspekt, dass einerseits die Auswärtsfahrer-Zahl als weniger entscheidendes Argument für Ansetzungen herangezogen wird, die ja eher an den Heimfans orientiert sind, andererseits aber die sicherlich noch viel geringere Anzahl derjeniger Auswärtsfahrer, die (in der Definition der Behörden) „gewaltbereit“ sind, als Rechtfertigung für Einschränkungen durch die ZIS gilt…

Begleitschreiben

Seit der Saison 2014/15 werden Begleitschreiben zu den Ansetzungen in 1. und 2. Bundesliga von der DFL an die Fanorganisationen verschickt, in der aktuellen Spielzeit hat der DFB mit Begleitschreiben für die 3. Liga nachgezogen.

Dies war unserer Meinung nach ein sehr wichtiger und guter Schritt in Richtung Transparenz und Verständnis, auch wenn dadurch nicht alle offenen Fragen und Hintergründe geklärt werden. Bisher wurden die Schreiben jedoch lediglich den Fanorganisationen zugänglich gemacht, die diese dann wiederum intern verteilen konnten. Aus unserer Sicht wäre eine öffentliche Bekanntmachung der Begleitschreiben der nächste – notwendige – Schritt, um noch höhere Transparenz zu erreichen und die Fans – egal ob sie Teil einer Fanorganisation sind oder nicht – angemessen zu informieren. Zudem wünschen wir uns in einzelnen Punkten noch ausführlichere Begleitschreiben, um noch mehr Klarheit zu erhalten.

Resümee des Treffens

Unter den aktuell gegebenen Bedingungen, die auf die Erstellung des Rahmenspielplans und die zeitgenauen Ansetzungen einwirken, müssen wir nach dem Gespräch zugeben, dass die Spielplan-Kommission sich um einen bestmöglichen Spielplan innerhalb dieses Rahmens bemüht – aber es liegt auch im System begründet, dass niemals alle Beteiligten komplett zufrieden sein können. Die Interessen v.a. von Auswärtsfans haben keine hohe Relevanz, Faninteressen insgesamt werden – wenn überhaupt – über die Heimvereine berücksichtigt und es wird höchstens darauf geachtet, dass über die Saison verteilt alle ähnlich viele problematische Ansetzungen erhalten.

Wir haben die Zusage erhalten, weiterhin detailliert nachfragen und auf vermeintliche Härten hinweisen zu können. Das werden wir tun und auch veröffentlichen, so dass ein Mehr an Transparenz durchaus entstehen kann und immerhin dieses Ziel unseres Treffens erreicht werden würde.

Nächste Schritte – ?

Bei der Bewertung des Treffens und den Überlegungen über die daraus resultierenden nächsten Schritte ist für uns folgendes noch klarer geworden: Zum Thema „Spieltagsansetzungen“ gibt es einerseits die Ebene der konkreten Terminierungen innerhalb des gegebenen Rahmens, auf die versucht werden kann einzuwirken, und andererseits die strukturelle Ebene, die genau diesen Rahmen herstellt. Bezüglich grundlegender Forderungen müssen wir genau prüfen, auf welcher Ebene wir unsere Kritik bzw. Forderung nach „fangerechten Anstoßzeiten“ platzieren, damit diese Wirkung erzielen kann.

Wir werden die angesprochenen Punkte und von uns identifizierte Stellschrauben innerhalb des jetzigen Rahmens bei den Verbänden einbringen und weiterhin in Gesprächen hierzu bleiben. Gleichermaßen werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, fangerechte Anstoßzeiten und die Berücksichtigung von Faninteressen strukturell zu verankern.

Außerdem werden wir zeitnah versuchen, mit der ZIS über die Reichweite und Bedeutung ihrer Einschätzungen ins Gespräch zu kommen – gleiches gilt für die TV-Anstalten.

Lokal können alle Fanorganisationen in ihren Vereinen den Dialog suchen und für die Möglichkeit sensibilisieren, dass zumindest die Heimvereine durch Wünsche Einfluss auf die Terminierungen nehmen können – hier sollten sich auch Faninteressen wiederfinden. Zudem bestimmen nach wie vor die Vereine – und dies gerade in der 1. und 2. Bundesliga sehr direkt – darüber, welche Interessen sie wie priorisieren. Auch hier sind lokale Gespräche gefragt.

Das große Fass: Die Spieltags-Zerstückelung

Lediglich am Rande konnten wir über die grundsätzliche Problematik der Spieltags-Zerstückelung reden, da die Spielplan-Kommission als „ausführendes Organ“ innerhalb des gegebenen Rahmens hierfür der falsche Ansprechpartner ist. Die Spielplan-Kommission betonte allerdings, dass sie sich gewünscht hätte, dass bereits erfolgte Verbesserungen – wenn auch leichte – im Gesamtkomplex mehr auch von Fanseite gewürdigt worden wären: Etwa die Abschaffung des 3. Freitags-Spiels zur Saison 2017/18 in der 2. Bundesliga zugunsten eines weiteren Samstag-Spiels oder die Verschiebung der Anstoßzeiten in Englischen Wochen von 17.30 h auf 18.30 h.

Wir versuchten dann klar zu machen, dass eine leichte Verbesserung innerhalb eines grundsätzlich als mangelhaft empfundenen und zerstückelten Spielplan-Systems zwar schon als positiv wahrgenommen wurde und wird, das zerstückelte Spielplan-System allerdings dennoch auch weiterhin als so mangelhaft empfunden wird, dass vermeintliche Verbesserungen lediglich als „Tropfen auf dem heißen Stein“ betrachtet werden. Die Hoffnung bleibt, dass es nicht aufhört zu „tröpfeln“ und die steten Tropfen doch langfristig zu wesentlichen Verbesserungen beitragen können.

Fazit

Unser Treffen hatte das Ziel, den internen Austausch wiederaufzunehmen, die Prozesse innerhalb des existierenden Systems besser zu verstehen und ein Mehr an Transparenz anzustoßen. Ob und was das Treffen mittel- und langfristig auslöst, werden die kommenden Ansetzungen zeigen, zu denen wir alle – wie bereits oben geschrieben – herzlich eingeladen sind, weiter nachzufragen.

Unbeabsichtigte Verbesserung?

Vielleicht gibt es auch schon zur neuen Saison eine „heimliche“ Verbesserung, auch wenn es uns die Spielplan-Kommission nicht ausdrücklich bestätigt hat: Legt man in der 2. Bundesliga für die Partien eines Spieltags ein Ranking der Entfernungen von 1 bis 9 an (siehe Essay: 1=Spiel mit der kürzesten Entfernung, 9= Spiel mit der größten Entfernung), so haben sich die Werte für die angesetzten Freitags- und Montags-Spiele aus Fansicht signifikant verbessert. Hatten in der Saison 2017/18 die Freitagsspiele im Schnitt einen Wert von 4,36, so liegt dieser in der aktuellen Spielzeit bei 3,83 – d.h. tendenziell werden aktuell „nähere“ Spiele hierfür angesetzt. Bei den Montags-Spielen ist der Wert von 5,13 in der vergangenen Spielzeit auf jetzt 4,61 gesunken. Vielleicht ergeben sich Verbesserungen ja auch unausgesprochen, intuitiv oder zufällig… Wir werden das weiter beobachten, müssen ja irgendwas mit unserer überbordenden Freizeit anfangen… 😉

Dank

Wir bedanken uns stellvertretend für die „IG Unsere Kurve“ und alle weiteren an der Thematik interessierten Fans für den konstruktiven Austausch und die gewonnenen Einblicke. Natürlich wird unser Ziel bleiben, die Fanperspektive weiter zu stärken und die Denkimpulse des Treffens weiterzuführen. Wir haben die Hoffnung, dass durch noch mehr Transparenz – v.a. hinsichtlich der vermeintlichen Sachzwänge – der bisher zum Teil so verbittert geführten Diskussion die Schärfe genommen wird, weniger Unmut entsteht und das Verständnis wächst – auf allen Seiten.

Material

Für alle Interessierten veröffentlichen wir unter https://www.fufa-sv98.de/essay-anstosszeiten-neue-grafiken/die fortgeschriebenen Statistiken zur vergangenen und aktuellen Saison der 2. Bundesliga, aber auch aktuelle Übersichten zur 1. Bundesliga und 3. Liga. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben, freuen wir uns über eine Rückmeldung an info@fufa-sv98.de.

Autoren: Markus Sotirianos / Roy Reinelt