Chancengleichheit entsteht zuerst durch Rahmenbedingungen, die für alle gelten und die auch für alle erreichbar sind.
Die Debatte um die 50+1 Regel ist in Deutschland wieder aufgeflammt. In dieser Woche treffen sich im Rahmen der DFL die Vertreter der 36 Vereine aus Bundesliga und 2. Bundesliga, um über die Regel und ihre Rahmenbedingungen zu diskutieren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende der Debatte ein Weg beschritten wird, der die Abschaffung von 50+1 zur Folge hat.
Die Interessengemeinschaft Unsere Kurve erteilt dieser Option eine klare Absage. Wir sind der Meinung, dass 50+1 bleiben muss.
Als Organisation unterstützen wir die Initiative #50plus1bleibt, der sich mittlerweile fast 3.000 Fangruppen und Fanverbände angeschlossen haben.
Die 50+1 Regel ist einfach erklärt. Der Verein und sein höchstes Organ, die beschlussfassende Mitgliederversammlung, können die Mehrheit der Stimmen nicht verlieren und bleiben dadurch im Besitz der Entscheidungshoheit. Wer auch immer durch ein finanzielles Engagement oder eine strategische Partnerschaft ein Mitsprache-Recht eingeräumt bekommt, darf wie alle anderen Vereinsmitglieder mitentscheiden, niemals aber über sie hinweg einen Verein dominieren.
Denn der Verein ist im Verständnis der meisten aktiven Fans und Mitglieder mehr als die Summe aus einem Wappen, den Farben und dem maximalen sportlichen Erfolg. Er lebt vom Engagement der Ultras, Fan- und Förderabteilungen, Supporter Clubs oder anderer Initiativen. Ein Verein ist ein soziales Gebilde, ein Abbild der Gesellschaft und ein Raum für Vielfalt und Gestaltung. Er fördert Zusammenarbeit und Gemeinschaft. Die aus diesen Strukturen resultierende Verbundenheit der Menschen mit dem Club lässt Erfolge emotionaler werden und hilft vor allem auch dabei, Krisen zu überstehen.
Der Aufwand ist oft enorm. Er ist jedoch Grundlage, die Mitbestimmung der Mitglieder zu schützen. In den Vereinen wird nicht nur irgendeine Fußballkultur gelebt, sondern demokratische Anteilnahme und Transparenz praktiziert.
Wir zeigen absolut kein Verständnis für die wieder aufkeimenden Angriffe auf die 50+1 Regel. Bei aller Einigkeit über die doch notwendigen wirtschaftlichen Bedürfnisse des Profifußballs im Rahmen von Vernunft und Nachhaltigkeit gibt es keinen Grund, die angesprochenen Werte wie Mitwirkung und Transparenz aufzugeben. Der fortschreitenden maßlosen Kapitalisierung im Sport, also auch über den Fußball hinaus, sind endlich Grenzen zu setzen.
Wir fordern, auf Grundlage und Beibehaltung der bestehenden 50+1 Regel gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um im deutschen Fußball, auch auf internationaler Ebene, die Integrität des Wettbewerbs wieder herzustellen. Der Wunsch nach Konkurrenzfähigkeit darf jedoch nicht auf Maßnahmen aufbauen, die noch mehr Geld in den Fußball bringen. Sportlicher Wettbewerb muss auf dem Rasen stattfinden und entschieden werden, nicht am Verhandlungstisch in Hinterzimmern beim Feilschen um TV-Gelder, in Business-Logen oder an der Börse.
Chancengleichheit entsteht zuerst durch Rahmenbedingungen, die für alle gelten und die auch für alle erreichbar sind. Europäische Wettbewerbe, vor allem lukrativ für wenige und ohnehin schon reiche Vereine, dürfen die nationalen Serien nicht weiter dominieren und negativ beeinflussen.
Der ungehemmte Zufluss an finanziellen Mitteln ohne wirkliche Kontrollinstanz hat auch in Deutschland bereits mehrere Vereine negativ erfasst, an deren Folgen sie noch heute und langfristig leiden. Die öffentlich unübersehbaren Diskussionen und Ereignisse rund um Clubs wie 1860 München, den Hamburger SV oder Hannover 96 lassen erkennen, wie wenig für die Einhaltung der 50+1 Regel durch die Verbände getan wurde. Der Glaube fehlt, dass zukünftig unter anderen Voraussetzungen eine notwendige Regulierung gewährleistet wird. Versprechungen und Ankündigungen verdienen mittlerweile nicht mehr das Vertrauen und stellen deshalb kein Argument mehr dar. Der Einzug von Leipzig in die Bundesliga ist sinnbildlich für das Versagen der Verbände, den Wettbewerb und Chancengleichheit zu sichern. Die Verantwortung dafür tragen DFB und DFL.
Die jüngsten Äußerungen von Christian Seifert, Geschäftsführer der DFL, bezüglich einer Modifizierung der 50+1 Regel sind deshalb für uns ein Anzeichen, sehr genau und mit voller Konsequenz gegen jede Entwicklung vorzugehen, die Wettbewerb aushöhlt und verhindert. Den kindischen Allmachtsphantasien in Hannover ist ein klares Nein entgegen zu setzen. Die Sonderregelungen in Hoffenheim, Leipzig, Leverkusen und Wolfsburg sind Stück für Stück zurück zu nehmen. Warum sollte ein Mäzen oder Investor für sein Engagement mit dem Abbau von Demokratie und Mitbestimmung belohnt werden?
Wir fordern die Vereine auf, sich auf die Grundwerte des Wettbewerbs zu besinnen, ohne dabei auf finanzielle Einschränkungen verzichten zu müssen. 50+1 bietet den Rahmen, wirtschaftlich und sportlich arbeiten zu können und erfolgreich zu sein. Ziel muss die Chancengleichheit für alle sein. Eine weitere Internationalisierung in der Spitze und Regionalisierung für den Rest kann keine Lösung sein. Für die kaum vermeidbare Diskussion über den Weg zu diesen Zielen stehen wir in Vertretung von Fans und Mitgliedern zur Verfügung. Wir erwarten zudem von allen Beteiligten, sich zeitlich nicht drängen zu lassen und eine breite Basis an Stakeholdern in diesen Entwicklungsprozess einzubeziehen. Denn die Folgen der weiteren Entwicklungen betreffen viele Akteure, insbesondere aber die Fans und ihre Vereine.
Die Fans und Mitglieder rufen wir auf, sich vor Ort lokal in die Debatte einzubringen, um ein breites Bündnis zu schaffen. Beteiligt euch mit eigenen Beiträgen und Initiativen. Macht mit bei #50plus1bleibt und nutzt die Gelegenheit, eure Meinung zu sagen.
In einer Umfrage in Zusammenarbeit mit FanQ dokumentieren wir die Positionen von Fußballfans zur 50+1 Regel. Nehmt euch gern Zeit, um ein paar wenige Fragen zu beantworten. Hier geht’s zur Umfrage: https://fanq-app.com/umfrage/
Foto: Arne Amberg